What could go wrong?
Die Ampelkoalition plant die Einführung einer Aktienrente. Damit begeben wir uns gesellschaftlich noch tiefer in eine gefährliche Abhängigkeit.
Aktien für alle

Vor ein paar Tagen redeten alle von China. Staatspräsident Xi Jinping schwang sich auf einem dystopischen Parteitag der Kommunistischen Partei zum unangefochtenen Alleinherrscher auf. Zeitgleich bezeichnete ein Sprecher Chinas Verbindung mit Russland als „felsenfest“.
China unterdrückt ethnische Minderheiten wie die Uiguren oder auch die Tibeter, es wird gemutmaßt, ob es noch dieses Jahrzehnt zum gewaltsamen Einmarsch im demokratischen Taiwan kommt oder erst nächstes.
Außerdem ist das Land Deutschlands wichtigster Handelspartner. Erst seit Russlands Angriff auf die Ukraine ist es in Deutschland auf einmal wieder Mainstream, unsere Abhängigkeit von China zu problematisieren. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier stellte kürzlich fest, dass man sich „von alten Denkmustern und Hoffnungen verabschieden“ müsse, auch wenn so mancher Wirtschaftsboss davon nichts wissen will.
Als Gesellschaft zur Aktionärin werden – was kann passieren?
Parallel dazu ist die deutsche Politik gerade dabei, sich eine neue wirtschaftliche Abhängigkeit zu schaffen, die in Zukunft ebenfalls dringend gebotene Entscheidungen erschweren wird.
Wie im Koalitionsvertrag zwischen den Ampelparteien vereinbart, legte das Bundesfinanzministerium diese Woche ein Konzept zur Einführung einer Aktienrente vor. Dabei soll ein Teil der Rentenversicherungsbeiträge von allen Bruttolöhnen, mit denen gegenwärtig unmittelbar die Renten der aktuellen Rentnerinnen finanziert werden, in Aktien investiert werden, wobei deren Dividenden dann später in die eigene Rente fließen. Dieser Schritt wird innen- wie außenpolitisch Folgen haben.
Wenn der Staat alle Arbeitnehmenden zwangsweise zu Anteilseignern an Unternehmen macht, wird es zum Interesse aller Einzelnen und des Staates, dass diese Unternehmen weiter Gewinne erzielen. Und wenn man dann vielleicht der Meinung ist, ihre Geschäftsmodelle sind gemeinschaftsschädlich und man sollte sie verbieten, könnte so ein Interessenkonflikt die politische Handlungsfähigkeit einer Gesellschaft entscheidend lähmen.
Fragen wie die, ob man profitorientierte Krankenhäuser wieder in staatliche Hand nehmen sollte, oder ob es besser wäre, wenn Kapitalgesellschaften weniger Einfluss auf urbane Wohnungsmärkte hätten, werden schnell zum sumpfigen Dilemma, wenn die eigene Altersvorsorge in einer Wette auf den Erfolg genau solcher Unternehmen besteht.
Welche politischen Schritte aus Angst vor Verlusten unterlassen werden könnten, hängt natürlich davon ab, in welche Aktien die geplanten Fonds überhaupt investieren. Es kann gut sein, dass es dabei in Zukunft Auswahlmöglichkeiten gibt. Sehr wahrscheinlich wird aber zunächst ein staatlich gemanagter Fonds eingerichtet, der das Geld verwaltet.
Das sollte allerdings kein Grund zur Beruhigung sein. Was die öffentliche Hand mitunter als nachhaltige und zukunftsfähige Investments ansieht, konnte man zuletzt im Sommer miterleben: EU-Kommission und -Parlament stuften gemeinsam Gas- und Atomenergie als „nachhaltig“ ein, sodass jetzt leichter in sie investiert werden kann.
Eine gefesselte Außenpolitik
Auch außenpolitisch setzen Renditeerwartungen der Bewegungsfreiheit Grenzen: Oft wurde das Mantra vom „Wandel durch Handel“ bemüht, wenn man dort Gewinne machen wollte, wo man ungern ohne deutschen Pass unterwegs wäre. Die Konsequenz aus der damit kommunizierten Erwartung wäre eigentlich, dass man weniger Handel treibt, wenn sich der erhoffte Wandel nicht einstellt oder umkehrt.
Nach einer längeren Phase gesellschaftlicher Liberalisierung wird aber zum Beispiel China unter der Herrschaft von Xi Jinping seit Jahren deutlich autoritärer. Und die Wirtschaftsbeziehungen wurden in Reaktion darauf kein bisschen eingeschränkt, sie sind auf einem Allzeithoch.
Eine solidarische Haltung gegenüber Uigurinnen oder Taiwanesinnen kann leicht zum „Ja, aber…“ schrumpfen, wenn ein Unternehmen, dessen Aktionär man ist, in China Fabriken besitzt. Oder wenn man einen Hafen betreibt, der teilweise einem chinesischen Staatskonzern gehört.
Und auch für die Hoffnung auf gemeinnützigen globalen Wissensaustausch und Technologietransfer, der insbesondere im medizinischen Bereich unzählige Menschenleben retten könnte, bedeutet es nichts Gutes, wenn sich Industrieländer an der Marktmacht ihrer Chemie- und Pharmakonzerne festklammern.
Ewiges Wachstum wird immer noch nicht hinterfragt
Finanzielle Erwägungen stechen oft andere politische Interessen aus. Das ist weder neu, noch ist es das einzige Gegenargument, das in der Debatte über das neue Rentenkonzept unterschlagen wird:
Unternehmensgewinne, die den Rentnerinnen ihre Dividenden bescheren sollen, müssen auch von irgendwem bezahlt werden – wenn nötig, durch höhere Preise und niedrigere Löhne. Das Argument, mit einer Aktienrente bräuchten zumindest nicht mehr die jungen Menschen die Rente der Alten zu finanzieren (wie im aktuellen Umlagesystem), zieht deshalb nicht wirklich. Genau wie die Frage der politischen Selbstlähmung wird dieser Punkt aber in Pro-Con-Betrachtungen über die Aktienrente gerne vergessen, während man sich vorstellt, wie schön es wäre, wenn wir bloß einfach alle zu Aktionärinnen würden.
Das Rentensystem ist komplex, seine Reformierung und Stabilisierung für die Zukunft ist nicht einfach. Aber eine noch größere Verknüpfung von persönlichen Interessen mit Konzerngewinnen birgt Gefahren. Die Einführung der Aktienrente ist ein Warnsignal für alle, die glauben, wir hätten schon genug Kapitalismuskritik geübt und würden jetzt – fünfzig Jahre nach dem Club of Rome-Bericht – langsam und schmerzhaft anfangen, uns von unserer Wachstumsfixierung zu lösen. Nein. Wir laufen immer noch mit geschlossenen Augen auf den brennenden Wald zu.