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FDP triumphiert in Nachtsitzungen

In Berlin formt sich eine Koalition neu, eine andere rappelt sich wieder auf. Beide verkaufen das als großen Wurf in die Zukunft, geben aber wenig Anlass, ihnen zu glauben.

Koalitionskrisen in Berlin

29.3.23

von

Sprechende Veranstaltung

Anfang dieser Woche fanden zwischen den Ampelparteien Mini-Marathon-Koalitionsgespräche statt. Sie sollten den knubbeligen Knoten lösen, der sich natürlicherweise da gebildet hat, wo allzu geringe Schnittmengen zwischen FDP, Grünen und SPD immer wieder mit blass glänzenden Fäden von politischer Rhetorik übernäht worden sind.


Mal wieder ein Krisengespräch der Ampel


In den letzten Wochen war ein Gesetzesentwurf zum Einbau klimaschonender Heizungen von innerhalb der Regierung an die Bild-Zeitung lanciert worden, woraufhin Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) in einem Fernsehinterview die Arbeitsfähigkeit und Vertrauenswürdigkeit der Bundesregierung explizit in Frage gestellt hatte.


Gleichzeitig hatte sich Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) zu einer Skandalnudel europäischen Formats entwickelt wie zuletzt nur „Ausländermaut“-Andi Scheuer (CSU) und „Ich hab mich dann doch für Monsanto entschieden“-Christian Schmidt (CSU). Wissing hatte gedroht, einen EU-Kompromiss über die Abschaffung von Verbrenner-PKWs ab 2035 platzen zu lassen. Damit war ihm das waghalsige Manöver geglückt, durch die Provokation eines weiteren Skandals von seiner gegenwärtigen Blockade der Verkehrswende abzulenken.


Dieses Bild der Missgunst und Stagnation wollte die Bundesregierung nun mit einem Befreiungsschlag zerstören. Am Dienstagabend gab es Ergebnisse:


„Wir drei stehen hier hochzufrieden“, begrüßte SPD-Chef Lars Klingbeil die Journalistinnen an der Bundestagskuppel. Er sah aber vor allem müde aus. Grünen-Chefin Ricarda Lang wirkte enttäuscht, FDP-Chef Christian Lindner, als würde er sich woandershin träumen.


Wissing off the hook


Wie sieht es also aus mit der Verkehrspolitik? Es sollen 45 Milliarden Euro in das deutsche Schienennetz investiert werden, heißt es stolz. Allerdings nicht sofort, sondern nur bis 2027.


Heruntergerechnet sind das weniger als zehn Milliarden Euro jährlich. Dabei hatte schon das Verkehrsministerium unter der letzen GroKo für 2021 Investitionen von 8,6 Milliarden Euro angesetzt. Bei der aktuellen Inflation gibt es also im Grunde keine Mehrinvestitionen gegenüber 2021, und wir planen auch bis 2027 keine.


Die begrenzten Ambitionen beim Schienenverkehr sind umso weniger erfolgversprechend, weil 144 Autobahnabschnitte zu „im überragendem öffentlichen Interesse“ erklärt werden sollen, womit sie das gesetzliche Siegel höchster Priorität bekommen. Niemand kann dann dem Verkehrsminister einen Vorwurf machen, wenn er nicht sofort den Schienenausbau angeht, er hat ja anderes zu tun. Das Ziel, hier einen klaren Vorrang der Schiene vor der Straße zu erreichen, haben die Grünen verfehlt.


Zu einem sensationellen Ergebnis für Volker Wissing wird das Ganze durch folgende Ergänzung, die Christian Lindner als Fortschritt verkauft: Die Einhaltung der Klimaziele soll „nicht mehr jährlich, sondern bis zum Beispiel zum Jahr 2030“ überprüft werden, und vor allem nicht mehr sektorspezifisch.


Wissing wird also in Ruhe gelassen, weil man immer behaupten kann, „alle gemeinsam“ würden die Ziele verfehlen. „Die Möglichkeit, einander zu helfen“, sagt Lindner dazu, obwohl „die Möglichkeit, einander zu zwingen“ eine sinnvollere Reaktion auf die Politik des Verkehrsministers gewesen wäre.


Lindner macht sich breit


Wie selbstbewusst Lindner in dieser Koalition ist, zeigt sich an Sätzen wie: „Im Klimaschutzgesetz öffnen wir jetzt den Raum für marktwirtschaftlichere Ergebnisse, um zu einem effektiveren Klimaschutz zu kommen“. Unter den Eingangsstatements der drei Parteispitzen hat er mit fast siebeneinhalb Minuten den mit Abstand längsten Part, Klingbeil und Lang reden jeweils nicht einmal dreieinhalb Minuten. Mehr als die Hälfte der Redezeit bekommt also er, der Anführer der kleinsten Gruppe. Er hat ja auch noch mehr Erfolge zu verkünden:


Bei neuen Heizungen gibt es mal wieder so etwas wie eine Ausnahme für E-Fuels. Fossile Heizungen sollen weiterhin eingebaut werden dürfen, sofern sie „ready“ sind für CO2-neutrale Energieträger, wenn es auch eine „entsprechende Planung für das Gasnetz gibt“. Ein mögliches Szenario also: Man macht eine Planung für ein klimafreundliches Gasnetz, die ist noch nicht mal umgesetzt, es gibt weit und breit keinen grünen Wasserstoff oder CO2-neutrale Gase, und fossile Heizungen können weiterhin eingebaut werden. Auch hier hat sich die FDP durchgesetzt.


E-Fuel-Irrsinn bleibt unwidersprochen


Für E-Fuel-fähige Autos möchte Lindner jetzt sogar noch eine Steuersenkung, weil E-Fuel-Autos besser seien als die jetzigen Verbrenner. E-Fuel-fähige Verbrenner müssen aber nicht mit Elektroautos steuerlich gleichgestellt werden, weil sie „auch klimaneutral“ seien.


Erstens ist die Herstellung von E-Fuel enorm energie-ineffizient, und wir haben keinen Energieüberschuss. Zweitens ist auch E-Fuel immernoch ein Kraftstoff, der durch Verbrennung CO2 freisetzt. Man kann sich das schönrechnen, indem man so tut, als wäre er durch das vorher aus der Luft gebundene CO2 gleichzeitig gut für das Klima. Aber die E-Fuel-Herstellung bindet Kapazitäten zur Isolierung von CO2 aus der Luft, die man erheblich besser dafür verwenden könnte, das CO2 danach nicht gleich wieder freizusetzen.


Die knappen CO2-Bindungskapazitäten sollten der Schonung des Klimas dienen, nicht damit Lindner steuerfrei seinem Traum folgen kann, mit dem Geräusch eines Boxermotors „forciert durch den Verkehr zu gleiten“. Also warum sagt in der Regierung niemand, dass seine Argumente Bullshit sind? Warum, bitte, sagt keiner das, bevor Lindner wieder Steuererleichterungen für Porsche-Fahrer ins Gesetz schreiben kann? Er ist ja Finanzminister, wenn man nicht aufpasst, schafft er einfach Fakten.


Bullshit als Meta-Strategie


Das Vorgehen, eine undurchsichtige Ausnahme für klimaschädliche Energieträger in fortschrittliche Gesetzgebung hineinzuverhandeln, entwickelt sich gerade anscheinend zur Meta-Strategie der FDP. Das erkennt man auch daran, dass Lindner zunehmend nicht mehr von „Technologieoffenheit“, sondern von „Technologiefreiheit“ spricht. Es ist kein Wunder, dass er damit Erstwähler fängt, wenn man ihn mit klaren Gegenargumenten – zumindest öffentlich – lieber verschont.


Alles in allem: Es gibt ein paar Kompromisse, und wir reparieren wie gehabt unsere Bahnschienen. Wenn bessere Ergebnisse nicht zu erzielen waren, dann ist das so. Aber ein großer Wurf waren diese Koalitionsgespräche nicht. Man konnte Robert Habeck den schwierigen Mittelweg zwischen Erfolg verkaufen und Unmut äußern gestern bei Markus Lanz ansehen.


Die Risse zeigen sich deutlicher


Auch in der SPD sind Spannungen nicht zu übersehen – jedenfalls in Berlin: Die Noch-Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey hat sich nach der Wahl vom Februar für eine Zusammenarbeit mit der CDU und gegen die Fortführung der Koalition mit Linken und Grünen entschieden, obwohl sie dafür eine klare Mehrheit gehabt hätte. Mehrere Kreisverbände der SPD Berlin haben sich mittlerweile öffentlich gegen die GroKo-Verhandlungen ausgesprochen.


Giffey hat daraufhin wiederum mit Rücktritt gedroht, falls man Rot-Grün-Rot weiterführen wolle, eher müsse es dann noch zu einer Schwarz-Grünen Regierung kommen. Ihr scheint mehr daran zu liegen, dass die CDU mitregiert, als dass ihre eigene Partei es tut. Ob sich die Gerüchte bestätigen, dass SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert einspringt und die SPD doch noch zu einer Fortsetzung der aktuellen Regierung führt, wird sich nach Ende der Berliner Koalitionsverhandlungen zeigen, die am 31. März abgeschlossen werden sollen.


Vielleicht ist dieser Zeitpunkt mitten zwischen den Wahlkämpfen 2021 und 2025 der, ab dem wieder öffentlicher infrage gestellt wird, warum wir keine linke Regierung haben.

Tankstelle: Man tut besser Strom rein. Wikimedia Commons / Patty Kuhn, https://www.byways.org

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