Politik im Fernsehen
Die "Berliner Runde" nach der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt vom 6. Juni 2021 ist ein gutes Beispiel dafür, wie Medien Politik nicht zeigen sollten.
Sehr konkret, sehr konkret
Sonntagabend, knapp zwei Stunden nach Schließung der Wahllokale für die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt. In der ARD läuft die „Berliner Runde“ mit den Generalsekretären von CSU, CDU, SPD und FDP sowie den Fraktionschefinnen von Linken und Grünen und dem Parlamentarischen Geschäftsführer der AfD.
Die 40 Minuten des üblichen Schlagabtauschs sind fast um, aber eine Frage will Tina Hassel noch unterbringen. Sie verweist auf das nahe Ende der Sendung und fragt dann Paul Ziemiak (CDU), wie konkret das Wahlprogramm der CDU werde. „Sehr konkret. Sehr konkret“, kommt prompt die Antwort. Ziemiak kann noch schnell hinzufügen: „Und das Programm wird nicht nur konkret, ich kann es Ihnen zusagen, es wird auch sehr, sehr gut“. Dann ist die Zeit um und Hassel schließt mit der Abmoderation.
Soll es das gewesen sein? Das Format der Berliner Runde versammelt immerhin zur besten Sendezeit im öffentlich-rechtlichen Fernsehen führende Köpfe aus allen im Bundestag vertretenen Parteien. Es ist enttäuschend, dass die Debatte auf dem Niveau „Wie gut und konkret wird eigentlich Ihr Wahlprogramm?“ „Sehr gut und konkret, danke der Nachfrage“, stattfindet. Das hätte man sich sparen können.
Nicht nur an dieser Stelle wird deutlich, dass das Format für einen Erkenntnisgewinn nicht wirklich taugt. Immer wieder hetzt die Moderatorin zum nächsten Thema und Gast, sodass keine Zeit bleibt, herausfordernde Fragen zu stellen oder bei ausweichenden Antworten eingehend nachzuhaken, geschweige denn für eine wirkliche Diskussion unter den Teilnehmenden.
Zum Beispiel versucht Katrin Göring-Eckardt (Grüne) die Vertreter von CDU und CSU in die Enge zu treiben, indem sie sie zu einer klaren Distanzierung von Ex-Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen auffordert. Maaßen kandidiert für die CDU für den Bundestag und schlägt mit seinen Aussagen eine Brücke zur Wählerschaft und zu Inhalten der AfD. Anstatt seine verschwörungsideologischen und rechtsradikalen Tendenzen zu benennen und zu fragen, ob so die „Brandmauer gegen rechts“ aussehe, die Ziemiak noch kurz zuvor bekräftigt hatte, erwähnt Göring-Eckardt aber nur einen aktuellen Tweet von Maaßen. Darin hatte der die Initialen von Annalena Baerbocks vollem Namen (ACAB) erwähnt und „Zufall oder Chiffre?“ gefragt. Im Vergleich zu einigen seiner älteren Aussagen ist das eher harmlos, laut Göring-Eckardt aber nicht weniger als „die wirklich größte Verschwörungstheorie, die man sich vorstellen kann“.
Göring-Eckardt wäre mit ausreichend Zeit sicherlich in der Lage, genauer darzulegen, warum man nicht gleichzeitig Maaßen als Kandidat aufstellen und sich wirksam von der AfD abgrenzen kann. In dieser Sendung hat sie aber nicht die Gelegenheit dazu. Das ist schade, denn nach ihrem Vorwurf könnte man fast meinen, sie übertreibe die Dimension des Problems mit Maaßen. Zwar gibt sich Ziemiak nicht die Blöße, den Tweet zu verteidigen. Er kommt aber seinerseits damit durch, Göring-Eckardts Frage, ob jemand wie Maaßen Teil der CDU/CSU-Fraktion sein könne, schlicht zu ignorieren. Wieder wird aus Zeitgründen nicht nachgefragt, obwohl eine klare Positionierung oder zumindest ein beredtes Herumdrucksen durch die CDU-Führung in greifbarer Nähe läge.
Talkrunden wie diese sind weder für effektive journalistische Arbeit noch für die politische Bildung der Zuschauenden ein gutes Format. Es sollte Ziel der Moderatorin sein, durch ihre Gesprächsführung den Unterschied zwischen einer befriedigenden und einer unbefriedigenden Antwort herauszuarbeiten. Wenn sie nach einem kurzen Statement eines Gastes kommentarlos zum nächsten Thema überleitet, unabhängig davon, ob ihre Frage überhaupt beantwortet wurde, passiert genau das nicht. In einer an Personen und abzuarbeitenden Gesprächsthemen überladenen Sendung können weder Angriffsflächen in den Positionen der Gäste aufgezeigt werden, noch kann eine zuschauende Person sich ihre Meinung zu den Inhalten der Parteien bilden.
Es gäbe verschiedene Wege, aus solchen Formaten mehr herauszuholen. Anstatt zusätzlich zu Wahlanalyse und Bundestagswahlkampf noch Überthemen wie „Klima“ einen Bruchteil einer 40-minütigen Sendung zu widmen, könnte man sich auf ein Thema fokussieren, zu dem dann zumindest mehr als ein oder zwei Argumente vorgebracht werden könnten. Auch könnte die Themenauswahl insgesamt kreativer sein und nicht nur die dominierenden Schlagzeilen der Woche abhandeln. Oft wären die in tiefergehenden Dokumentationen oder investigativen Reportagen besser aufgehoben, anstelle in einer Talkshow erwartbare Phrasen darüber auszutauschen.
Wenn man auch dann, wenn nicht gerade sowieso die Zeitungen voll davon sind, mehr über zum Beispiel die Mobilitätswende (und wer sie verhindert), die Mindestlohnentwicklung (und wer sie verhindert) oder die Bildungspolitik sprechen würde, würde man die politische Debatte gestalten, anstatt nur passiv an ihr teilzunehmen. Man hätte die Möglichkeit, Themen selbst zu setzen oder wieder ins Gedächtnis zu rufen, und würde so vielleicht erschweren, dass Skandale und Empörung über politische Untätigkeit einfach ausgesessen werden. Wenn andererseits die großen politischen Fragen der Gegenwart in kürzesten Redeblöcken mit polemischen Sprüchen gelöst werden sollen, verspricht das anstrengende Fernsehduelle vor der Bundestagswahl.